Mit ihren Saugnäpfen können Kraken auch an glatten Oberflächen durch Unterdruck eine enorme Haftkraft erzeugen – ein Prinzip, das Londoner Forscher nun auf Zahnprothesen übertragen wollen.
Wer herausnehmbare Zahnprothesen trägt, weiß um die Herausforderung, den jederzeit festen Sitz zu bewerkstelligen. „Vor allem Unterkiefer-Vollprothesen haften nicht immer so gut, wie sie es idealerweise sollten, da weniger Auflagerungsfläche zur Verfügung steht“, berichtet die Zahnärztin Dr. Maren Schmidt, die in Berlin-Adlershof praktiziert. Die gängigen Haftmittel – Pulver oder Gel meist aus Kalzium, Paraffinen, Zink, Aroma- und Kunststoffen – helfen zwar. „Doch sie werden von vielen Patienten als unangenehm empfunden, denn unweigerlich gelangt ein Teil der Masse in den Mundraum und wird heruntergeschluckt. Gesundheitlich mag das bei guten Produkten unbedenklich sein, geschmacklich überzeugt es indes die wenigsten“, so Dr. Schmidt weiter. Darüber hinaus ist ein allzeit fester Sitz auch mit Haftmittel keineswegs garantiert.
Mit einer Innovation der Fakultät für Zahnmedizin, Mund- und Kieferwissenschaften am Londoner King’s College könnten bald aber neue Zeiten für Vollprothesenträger anbrechen. Die Forscher um Dr. Sherif Elsharkawy haben sich die Natur zum Vorbild genommen, genauer gesagt: Kraken. An deren Tentakeln befinden sich nämlich Saugnäpfe, die einen Unterdruck und dadurch eine enorme Haftkraft (Retention) hervorbringen, die auch auf glatten Oberflächen für festen Halt sorgt.
Doppelte Haftkraft
Die Wissenschaftler erstellten per 3D-Druck Modelle von Ober- und Unterkiefer-Vollprothesen und statteten sie mit Saugnäpfen nach Kraken-Vorbild aus. Das Ergebnis überzeugt: An der Mundschleimhaut haften die neuartigen Prothesen etwa doppelt so gut wie konventionelle. Das Herausnehmen soll dennoch völlig umstandslos möglich sein. „Durch die Nachahmung der genialen Haftstrategien von Kraken-Saugnäpfen haben wir einen Prototyp entwickelt, der auch in den anspruchsvollsten oralen Umgebungen verbesserten Halt und Komfort bietet. Unsere Ergebnisse ebnen den Weg für eine neue Generation von Prothesen, die die Lebensqualität von Millionen Menschen weltweit transformieren kann“, gibt sich Dr. Elsharkawy zuversichtlich.
Zusätzlich empfehlen die Forscher, die auch chemische Haftmechanismen untersucht haben, eine dünne Keratinbeschichtung auf den Prothesen. Diese verbinde sich mit dem Keratin in der Mundschleimhaut und steigere so die Haftkraft.
Zahnärztin Dr. Schmidt aus Adlershof weist zudem darauf hin, dass es eine weit überlegene Befestigungslösung für Zahnprothesen gibt: Implantate. Vier der künstlichen Zahnwurzeln reichen in aller Regel, um einen kompletten Kiefer prothetisch zu versorgen. Das Kau- und Sprechgefühl bleibt bzw. wird wieder so, wie man es mit natürlichen Zähnen gewohnt war.